Gedenken anlässlich des Gedenktages an die Opfer des Nationalsozialismus

7. Februar 2021 | News Redaktion

Am 27. Januar versammelten sich auf dem Jüdischen Friedhof in Weißensee etwa 25 Menschen, um anlässlich des 76. Jahrestages der Befreiung von Auschwitz zu gedenken.

Gedacht wurde den Menschen, die im damaligen Vernichtungslager ermordet wurden, als auch den Befreier*innen. Obwohl es die rote Armee war, die die Insass*innen von Auschwitz von dem Martyrium durch die Nazis befreite, so wurde in der offiziellen Berichterstattung zu diesem Jahrestag die Rote Armee oft ausgeklammert. Gerade dies ist vor dem Hintergrund, dass viele Rotarmist*innen im Kampf gegen die Nazibarbarei ihr Leben ließen, geschichtspolitisch unverantwortlich. Während das Ausklammern der Roten Armee durchaus als politisch beabsichtigt gewertet werden kann, so ist die „unpopuläre“ Erinnerung an die Beendigung der Blockade von Leningrad eher dem Umstand geschuldet, dass industrielle Massenvernichtung eine politische Dimension in sich birgt, die über den Ort an sich hinaus geht – die europaweite industrielle Massenvernichtung von Menschenleben.Schätzungen zufolge starben während der Belagerung Leningrads durch die deutsche Heeresgruppe Nord und spanische Truppen von September 1941 bis zum Januar 1944 etwa 1,1 Millionen zivile Bewohner*innen der Stadt. Die meisten dieser Opfer verhungerten. Auch hier war es die Rote Armee, die diesem mörderischen Treiben ein Ende bereitete. Deshalb ist es hervorzuheben, dass auch dieses wichtige geschichtliche Ereignis Erwähnung in der Rede erhielt, die beim Gedenken von einer Genoss*in gehalten wurde. Viele Gedenken waren an diesem Jahrestag abgesagt und zum Teil ins Internet verlegt worden. Wir sind jedoch der Meinung, dass es die Sichtbarkeit von antifaschistischem Gedenken, praktischem Antifaschismus und sozialen Kämpfen in der Öffentlichkeit weiterhin braucht. Wir haben nicht die großen Medienhäuser, somit bleibt uns nur die Straße als Ort, um uns zu artikulieren. 2020 hat die Linke, ob nun außerparlamentarisch, autonom, gewerkschaftlich oder parteipolitisch organisiert, gezeigt, dass sie Protest Pandemie-sensibel organisieren kann. Diese erworbene Praxis sollte nicht wieder zurückgebaut werden. Ein Rückzug aus dem öffentlichen Raum würde nur den reaktionären Bewegungen helfen, die sich gerade massiv die Straße nehmen. Zudem haben Gedenken einen hohen Stellenwert, um sich kollektiv daran zu erinnern, warum wir unsere Kämpfe führen. Der Mut, mit dem Menschen sich dem Naziregime widersetzten, gibt uns Kraft und ist uns Vorbild für unsere eigene politische Haltung und Handlung. Gerade die Vereinzelung in Zeiten der Pandemie machen die nach innen gerichteten Momente, in denen wir als Freund*innen und Genoss*innen zusammenkommen, um so wichtiger.  Wir sind darum sehr zufrieden damit, dass sich auch bei einer internen Mobilisierung für das Gedenken über 20 Menschen auf den Weg zum jüdischen Friedhof Weißensee gemacht haben. Weitere gedenken gab es unter anderem in Marzahn auf dem Parkfriedhof (https://twitter.com/KimWinkler1312/status/1354451525586792454) und in Hohenschönhausen/Lichtenberg (https://twitter.com/AVL_Bln/status/1354415277681893377). Hier wurde u.a. Gedenkgestecke der AfD fachgerecht entsorgt. Wir waren zudem nicht die Einzigen. Immer wieder stießen Menschen zum Gedenken hinzu, die allein oder zu zweit an diesem Tag zum Friedhof gingen. Dass ihr individuelles Innehalten und Blumenniederlegen spontan auch von einem Gedenken mit Rede und Gedicht gerahmt wurde, wurde positiv aufgenommen. Wir bedanken uns bei allen Beteiligtenn. Wir haben uns gefreut, dass ihr da wart.  Nie wieder Faschismus! Nie wieder Krieg!Antisemitismus und Antikommunismus bekämpfen!Die befreite Gesellschaft bleibt weiterhin das Ziel!

Antifaschist*innen aus WeißenseeInformationen zu Antifaschismus und Gedenken in Weißensee: https://weissenseehohenschoenhausen.vvn-bda.de/www.antifa-nordost.org

Redebeitrag – gehalten am 27. Januar 2021 auf dem Jüdischen Friedhof Weißensee

Gedenke Ewiger / was uns geschehen / Gewidmet dem Gedächtnis / unserer ermordeten / Brüder und Schwestern / 1933–1945 / und den Lebenden / die das Vermächtnis / der Toten erfüllen sollen – mit diesen Worten der Jüdischen Gemeinde von Berlin, die hier hinter uns auf dem Mahnmal für die Opfer das Nationalsozialismus stehen, begrüße ich euch.  Die Erinnerung darf nicht enden – deswegen haben wir uns hier heute zum Gedenken getroffen; zum Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus und Holocausts. Der Jüdische Friedhof hier in Weißensee ist ein Zeugnis jüdischen Gedenkens und Erinnern. Es sind hier Urnen mit Asche von Ermordeten der Konzentrationslager Auschwitz, Buchenwald, Dachau, Ravensbrück, Sachsenhausen und Mauthausen beigesetzt. Unter dem Mahnmal liegt eine Urne mit Erde und Asche aus dem Museum Auschwitz-Birkenau. Erde und Asche sind von der Todeswand im Block 11 und von einem Scheiterhaufen in Birkenau. Der Jüdische Friedhof ist auch ein Zeugnis jüdischen Lebens und Überlebens. Während der NS-Zeit wurden hier Juden und Jüdinnen zu Gärtner:innen ausgebildet, damit sie begründet nach Palästina auswandern konnten. Zudem versteckten sich Verfolgte hier auf dem Friedhofsgelände. Erinnern und Gedenken heißt den Blick für Vergangenes, für das Heutige und Zukünftige.  Wir gedenken hier heute den Toten und den Opfern des Nationalsozialismus und des Holocausts. Wir erinnern uns hier heute an die unzähligen Opfer dieser Verbrechen an der Menschheit. Mindestens 1,1 Millionen Menschen wurden im Konzentrationslager in Auschwitz ermordet. Menschen, die nicht in das Weltbild der Faschist:innen passten: Jüd:innen, Sinti und Roma, Homosexuelle, politische Gegner:innen und viele mehr. Am 27. Januar 1945 befreiten Soldaten der Roten Armee das Konzentrationslager Auschwitz. Unvergessen sollten zudem die Leningrader Blockade und ihre Opfer sein. Heute vor 77 Jahren wurden das bewusste, jahrelange Aushungern Leningrads mit mehr als 1 Millionen Opfern durch eine Großoffensive der Roten Armee gestoppt. Wir gedenken heute auch diesen Opfern des Nationalsozialismus. „Es ist geschehen, folglich kann es wieder geschehen.“ – mit diesen Worten des Auschwitz Überlegenen Primo Levi wird uns bewusst, dass rechtsextremistische und faschistische Gedanken, Reden und Taten nicht nur in der Vergangenheit liegen.  Gemeinsam stellen wir uns gegen das Erstarken von rechtsextremistische und faschistischen Bestrebungen, hier vor Ort in Weißensee, in Berlin, in Deutschland, in Europa und auf der ganze Welt.  Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen. Mit dem Gedicht „Dein Leib im Rauch durch die Luft“ von Nelly Sachs schließe ich die Worte des Erinnerns. Im Anschluss könnt ihr euch Blumen nehmen und diese gemeinsam am Mahnmal niederlegen.

Dein Leib im Rauch durch die Luft O die Schornsteine Auf den sinnreich erdachten Wohnungen des Todes,Als Israels Leib zog aufgelöst in RauchDurch die Luft – Als Essenkehrer ihn ein Stern empfing Der schwarz wurde Oder war es ein Sonnenstrahl? O die SchornsteineFreiheitswege für Jeremias und Hiobs Staub –Wer erdachte euch und baute Stein auf SteinDen Weg für Flüchtlinge aus Rauch? O die Wohnungen des Todes,Einladend hergerichtetFür den Wirt des Hauses, der sonst Gast war –O ihr Finger,Die Eingangsschwelle legend Wie ein Messer zwischen Leben und Tod – O ihr Schornsteine,O ihr FingerUnd Israels Leib im Rauch durch die Luft!

Erstveröffentlichung auf Kontrapolis am 29. Januar 2021

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