Gegendarstellung zur Anti-Abschiebungsdemo am Flughafen Tegel

30. Juli 2013 | News Redaktion

Vor allem der Tagesspiegel berichtet heute sachlich aber lückenhaft über die gestrige Demo am Flughafen Schönefeld. Hier der persönliche Gegenbericht eines Teilnehmenden.

Hintergrund: Aus Wien erreichte uns die Nachricht, dass rund 20 pakistanische Staatsangehörige, die seit Monaten für ihr Recht auf Asyl gekämpft hatten, bei einem Routinebesuch auf der Polizeiwache hinterrücks verhaftet worden waren. Sie wurden dann von jeglicher Kommunikation mit Unterstützer_innen und Anwält_innen abgeschnitten und Stück für Stück abgeschoben.

Da die Personen keine Pässe hatten und ohne gesicherte Identität keine Abschiebung stattfinden kann, wurden sie mit illegalen Mitteln von Mitarbeitern der österreichischen Ausländerbehörde identifiziert. Mitarbeiter holten einfach Unterschriften auf deutschsprachigen Formularen von mutmaßlichen "Familienangehörigen" der Refugees in Pakisten ein. Somit galten sie als identifiziert. Anscheinend gehts manchmal auch ganz unbürokratisch. Die Abzuschiebenden werden abgeschottet, Anwält_innen können nachträglich keinen Kontakt mehr zu ihnen aufnehmen und ihr Haftort wird auch auf Nachfrage nicht preisgegeben.

Eine Gruppe von drei bis sechs Geflüchteten sollte per Bus oder Flugzeug nach Tegel gebracht werden, um dort nach Doha und schließlich nach Lahore abgeschoben zu werden. Andere sollten nach Mailand und direkt in den Dublin-II-Staat Ungarn transportiert werden. Unter Anleitung der EU-Koordinationsbehörde Frontex können die Staatspolizeien Geflüchtete nun ganz leicht untereinander austauschen.

Ich habe schon mehrere illegale Abschiebungen erlebt. Außer massivem Protest am Ort gibt es kaum Alternativen, denn die Behörden arbeiten so schnell und verdeckt, das selten Zeit für konventionelle Rechtsmittel bleibt. Sobald der/die Abgeschobene außer Landes ist, kann man zwar gerne klagen gehen, aber dann ist es einfach zu spät. Aus diesem Grund folgte ich gestern dem Aufruf zur Demo am Flughafen Tegel.

Ablauf: Vor Ort gab es etwa drei Gruppen, die sich friedlich versammelten. Eine vor dem Abflugterminal, eine vor der Abschiebestation und eine auf der Zufahrtsstraße. Die Teilnehmenden waren vor allem junge Stundent_innen.

Die Polizei ging taktisch, brutal, eskalativ vor. Ich selbst war bei der Straßenblockade dabei. Die eigentliche Blockade dauerte keine 20 Minuten. Die Demo war angemeldet. Nachdem der Anmelder uns aufrief, die Blockade zu beenden, standen wir auf und liefen zum Flughafengebäude, um die anderen Demonstrant_innen zu unterstützen. Die Versammlung wurde zu keinem Zeitpunkt für aufgelöst erklärt.

Die Polizei verfolgte unsere Gruppe bis zu einem langen Autotunnel. Den öffentlichen Verkehr hielten sie soweit entfernt, dass niemand sehen konnte was in diesem Tunnel geschah. Unsere Gruppe hatte zu diesem Zeitpunkt ca. 30 Personen. Dann prügelten die schwer befaffneten Polizist_innen wahllos auf uns ein und drängten die gesamte Gruppe an die Wand. Es war dunkel im Tunnel, wir riefen laut unsere Parolen, um uns nicht einschüchtern zu lassen.

Blutjunge Azubis umzingelten uns. Ein Dutzend Einsatzwagen kamen hinzu; in zehn Minuten war der ganze Tunnel voller Polizist_innen in Kampfmontur. Ohne Angabe von Gründen wurden wir - Teilnehmende einer angemeldeten Versammlung - gezwungen unsere Personalien zu zeigen. Das wurde uns aber nicht etwa freundlich aber bestimmt mitgeteilt, nein, die gepanzerten Brutalos griffen sich einfach gezielt die ersten "ausländisch" aussehenden Menschen aus der Gruppe. Schnell lenkten einige von uns ein, um das Gerangel zu beenden. Sie riefen: "Kein Widerstand, das macht keinen Sinn, lasst euch verhaften." Also ließen wir uns einzeln in die Polizeiwagen führen.

Nun kann man sich vorstellen, dass eine Personalienfeststellung für 30 Menschen lange dauert. Wir standen bestimmt drei Stunden im Sturmregen, bis die letzten Aktivist_innen frei waren. Die Straßenblockade wurde also zu 80% von der Polizei verursacht. Hätten sie uns ziehen lassen oder wenigstens vernünftig mit unserem Veranstalter kommuniziert, wäre die Demo friedlich verlaufen und die Straße nach 30 Minuten wieder frei gewesen. Wahrscheinlich hätten wir ihnen unsere Ausweise noch auf dem Silbertablett serviert. So wurde aber die gesamte Flughafenzufahrt von 19 bis 22 Uhr lahmgelegt und mehrere Menschen wurden durch brutale Polizist_innen verletzt. Das vom Tagesspiegel verbreitete Gerücht, jemand hätte versucht, einem Beamten die Waffe aus dem Halfter zu ziehen ist nichts weiter als das. Woher soll denn ein_e 20 jährig_e Soziologiestudent_in (augenscheinlich der Durchschnitt der Teilnehmenden) wissen, wie man eine Waffe benutzt? Welche Gefahr soll denn bitte von ein paar langhaarigen Neu-Kreuzbergern ausgehen?

Als wir auf die Festgehaltenen warteten, wurden wir immer wieder von Fluggästen angepöbelt. Ein süddeutsch-mittelständisch aussehender Anzugträger, wünschte sich, wir sollten ins Lager abgeschoben werden. Ein baumhoher Bodybuilder schubste eine Frau die ein Plakat hielt beim vorbeigehen brutal zur Seite.

Gegen 21 Uhr kamen noch vier weitere Einsatzwagen an, in denen ca. 25 Aktivist_innen saßen, die direkt vor der "Rückführungsabteilung" festgenommen worden waren. Diese Abteilung befindet sich auf der Nullebene des Flughafens, in Nähe der Parkplätze und wird von den Gästen kaum gesehen. Ebenso wie bei unserer Festsetzung im Tunnel, hatte die Polizei diese abgelegene Stelle genutzt, um  Gewalt gegen die Protestierenden einzusetzen und sie grundlos zu verhaften. Nur die Anwesenheit einiger engagierter Pressefotografen konnte schlimmere Exzesse verhindern.

Das ist mein dritter oder vierter brutaler Polizeieinsatz in diesem Sommer. Die Einsatzkräfte interessieren sich einen Dreck für die Dienstvorschriften, das Versammlungsgesetz oder die Sicherheit von Demonstrierenden und Passant_innen. Immer wieder gibt es unnötige Verletzte und Festnahmen. Ich fühle mich von diesen Menschen weder beschützt noch sehe ich mich als Bedrohung für die Allgemeinheit, auch wenn in "linke Krawallos" in den regierungstreuen Medien immer wieder als Terroristen diffamiert werden. Allerdings sehe ich die latent faschistische Allgemeinheit als Bedrohung. Die Hetzpresse, die Prügelbullen und die "bürgerliche Mitte" kultivieren den Faschismus, füttern seine Gährung, holen den ungeliebten Balg von der Straße und drängen ungehorsame Zivilist_innen in die Radikalität.

Fazit: Mit der Freiheit ists vorbei, bedankt euch bei der Polizei. Air Berlin verdient sein Geld mit Abschiebung in alle Welt. Rot, braun, grün oder weiß - es bleibt immer der gleiche Scheiß.

Mehr Infos vom refugee strike berlin

Erstveröffentlichung auf Indymedia am 30. Juli 2013

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