Am 17. August NS-Verherrlichung stoppen!

7. August 2019 | News Redaktion

Am 17. August ist der Todestag vom Hitler-Stellvertreter Rudolf Heß. Nachdem sich in den letzten beiden Jahren die Heß-Märsche in Berlin etablieren konnten, gibt es nun unterschiedliche mögliche Szenarien. Wie auch in den Jahren 2017 und 2018 muss entschieden Widerstand gegen diese neonazistische Großveranstaltung geleistet werden.

Das Revival der geschichtsrevisionistischen Großaufmärsche

Die geschichtsrevisionistischen Märsche in Dresden galten rund zwei Jahrzehnte als das einheitsstiftende Moment der Naziszene und zählten mit einer Teilnehmer*innenzahl von bis zu 5000 Nazis zu den faschistischen Großevents im europäischen Raum. Durch die antifaschistische Gegenmobilisierung konnte die Dynamik der Aufmärsche gebremst und deren Teilnehmer*innenzahlen verkleinert werden. Seitdem ist das faschistische Spektrum auf der Suche nach einer vergleichbaren Veranstaltung, bei der sie demonstrativ den Schulterschluss mit verschiedenen Naziorganisationen üben und die eigenen Reihen stärken können. Schon kurz nach dem Heß-Aufmarsch 2017 wurde die Mobilisierung in der Naziszene als Erfolg verbucht. Der Heß-Aufmarsch, mit 1400 Nazis, hat verdeutlicht, welch enormes Mobilisierungspotential im Mythos Heß für Neonazis aus ganz Europa steckt. Die Wirkung entfaltete sich zu großen Teilen nach innen, als Selbstbestätigung überzeugter Nazis, welche sich von der AfD nicht repräsentiert fühlen. Zugleich wurde deutlich, dass es sich dabei um ein Projekt der bundesweiten Naziszene handelt. So wurde die Organisation des Aufmarsches neben den Strukturen um den Anmelder Christian Häger (NPD/Aktionsbüro Mittelrhein) von Berliner NPD-Nazis um Sebastian Schmidtke getragen. Das Aktionsbüro Mittelrhein ist dem Kamerradschaftsspektrum zu zuordnen und bildete die Verbindung zwischen Der Rechten und der NPD. Beide Parteien stellten Ordner und mobilisierten gemeinsam zu den Heß-Märschen in Berlin. Sie übernahmen auch die Organisation des Heß-Marsches 2018, den sie nach einigem Hin-und-Her schließlich in Friedrichshain und Lichtenberg abhalten konnten. Mit mehreren Anmeldungen schafften sie es die verschiedenen Gegenmobilisierungen hinter das Licht zu führen. Trotz mehrerer militanter Interventionen und einiger größerer Sitzblockaden konnten die Nazis ihren Aufmarsch unter dem Schutz der Bullen weitesgehend ungestört durchführen. Das Laufen durch die vermeintlich linksalternative Hochburg Friedrichshain wurde von den Nazis intern als besonderer Erfolg gewertet, auch wenn nur noch circa 800 Nazis teilnahmen.

Den Heß-Mythos brechen!

  Die Nazis wollen den 17. August nutzen, um ihren faschistischen Mythos um Rudolf Heß zu verbreiten. Der Mythos basiert auf einem angeblichen Mord am „Stellvertreter des Führers“ durch britische Agenten im Jahr 1987, im damaligen Kriegsverbrechergefängnis in Spandau. Heß wurde zu der wichtigsten Symbolfigur von alten und neuen Nazis, da mit ihm der deutsche Faschismus glorifiziert werden konnte. Seit 1988 waren die Rudolf-Heß-Gedenkmärsche das wichtigste faschistischen Event von Nazis aus ganz Deutschland. Besonders die Aufmärsche in den Jahren 2001-2004 konnten bis zu 5000 Nazis ins bayrische Wunsiedel, wo sich bis 2011 das Grab von Rudolf Heß befand, mobilisieren.
Nazis versuchen um Rudolf Heß mehrere Mythen wie der des „Friedensfliegers“ zu etablieren. Heß war im Mai 1941 eigenmächtig nach Schottland geflogen, angeblich um Friedensverhandlungen zu führen. Dabei wurde er gefangen genommen und ins Gefängnis gesperrt. Für die Nazis bedeutete dieser Alleingang außenpolitisch und kriegsstrategisch vor allem Nachteile. Hitler schaffte Heß’s Posten als „Stellvertreter des Führers“ ab, ließ dessen Personal verhaften und hielt einen seiner Adjutanten bis zum Kriegsende im KZ fest, da dieser die Pläne von Heß nicht gemeldet hatte. Die Behauptungen der Nazis, Heß’s Flug nach Großbritannien hätte einen deutschen Angriff auf die Sowjetunion verhindern und die „europäische Judenfrage“ friedlich lösen können, sind vor dem Hintergrund der Programatik der Nazis völliger Blödsinn. Mit diesem Mythos versuchen heutige Neonazis die Alliierten des Mordes an Heß zu bezichtigen. Dabei soll die „Wahrheit“ über die Schuld am Zweiten Weltkrieg angeblich vertuscht werden. Passend dazu heißt das Motto des Aufmarsches „Mord verjährt nicht“.
Rudolf Heß war aktiv an der Judenverfolgung beteiligt, war ein bedingungsloser Gefolgsmann Hitlers, und blieb bis zu seinem Tod ein überzeugter Faschist, was ihn für Nazis aller Couleur zum Vorbild macht. So sagte er bei seiner Verurteilung nach der Niederlage des deutschen Faschismus: „Ich bereue nichts“. Der Heß-Marsch in Berlin ist darum nicht als hilfloser Versuch von Geschichtsklitterung zu werten, sondern soll international mobilisieren und die Stärke jener Neonazis zeigen, die sich öffentlich zum historischen Nationalsozialismus bekennen.

Neofaschistische Strukturen zerschlagen!

Im letzten Jahr wurde immer wieder deutlich, wie bedrohlich das Potenzial organisierter und bewaffneter Faschisten auch nach dem NSU immer noch sein können – und wie tief sie in der BRD verankert sind: In der Bundeswehr hat sich das „Hannibal-Netzwerk“ aufgetan, hessische Polizist*innen bedrohen als „NSU 2.0“ Anwält*innen, die Verstrickungen des Berliner LKA’s in den Neukölln-Komplex und in die Bedrohungskampagne gegen die Rigaer94, der Mord an Walther Lübcke der Mord an Walther Lübcke durch den schon seit vielen Jahren aktiven und organisierten Neonazi Stephan Ernst, die Aktenschließung zum Mord an Oury Jalloh, sowie der
neuerliche rassistische Mord unter Polizeiobhut an Amad Ahmad in Kleve… – das sind nur die bekanntesten Fälle. Die Neonazis sind nicht nur gut vernetzt mit dem bürgerlichen Staat, sondern auch ein systemimmanenter Bestandteil dessen. Die staatlichen Organe waren schon immer ein Herd regressiver und repressiver Ideen. Die zunehmende Enthemmung der eh schon tendenziell faschistischen, staatlichen Organe sind ein Spiegelbild der zunehmenden Faschisierung der Gesellschaft.
So radikalisiert sich die neonazistische Szene in Deutschland ebenso immer weiter. Dies kommt nicht nur aus einem Bedürfnis der Abgrenzung gegenüber denen als liberal empfundenen Positionen der AfD, sondern auch aus dem Gefühl eine endzeitliche Schlacht zu führen, wie auch im Falle des Christchurch Attentats.
Antifaschistische Politik bedeutet die faschistischen Strukturen inner- und außerhalb des bürgerlichen Staates, sowie diesen selbst anzugreifen um gemeinsam einen Schritt weiter in Richtung klassenlosen und befreiten Gesellschaft zu gehen. Dies erfordert eine staatskritische und klassenbewusste Antifa, statt einer launigen „#wirsindmehr“-Party mitten in faschistischen Hochburgen.

Der 17. August 2019: viele Möglichkeiten, viel Spekulation

Bisher gibt es noch keine Anmeldung für einen Heß-Marsch in Berlin, stattdessen mobilisiert Die Rechte und ihr nahestehende Kameradschaften aus dem Rhein-Main Gebiet nach Ingelheim am Main. Der Aufruf wird jedoch nicht auf den bisher genutzten Social-Media-Seiten und Blogs geteilt.

Unterschiedliche Szenarien für den 17. August sind damit möglich:
1. Es werden von Seiten der Nazis dezentrale Gedenken geplant. Dafür spricht die Anmeldung in Ingelheim, dagegen spricht, dass Die Rechte bundesweit dorthin mobilisiert.
2. NPD und Die Rechte planen tatsächlich einen gemeinsamen Groß-Aufmarsch in Ingelheim, nach dem Vorbild der Heß-Märsche 2017 und 2018 in Berlin. Dagegen spricht, dass die NPD nicht nach Ingelheim mobilisiert, weder als Partei noch mit den bisher genutzten Blogs und Social-Media-Seiten.
3. Die Rechte und die NPD sind in der Planung auseinander gegangen und möchten voneinander unabhängige Gedenken veranstalten. Dafür spricht die einseitige Mobilisierung der Rechten nach Ingelheim, ebenso wie die Tatsache, dass die bisher genutzten Social-Media-Seiten und Blogs, die vermutlich von Sebastian Schmidtke (NPD) bedient werden, bislang nicht aktualisiert wurden um nach Ingelheim aufzurufen. Auch die Wahl des Ortes spricht für diese Theorie, da Die Rechte im Rhein-Main-Gebiet dominant ist (ggü. III. Weg und der NPD). Wenn dem so sein sollte, ist damit zu rechnen, dass es von seiten der NPD noch eine Anmeldung geben wird, entweder in Berlin oder in einem von der NPD (ggü. III. Weg und Der Rechten) dominierten Gebiet (v.a. Ostdeutschland).
4. Die Rechte und die NPD sind in der Planung auseinander gegangen und nur Die Rechte führt das Heß-Gedenken weiter. Dafür spricht, dass die NPD sich dem “Tag der Nation”/“Tag der Patrioten” zuzuwenden scheint, der am 3. Oktober in Berlin stattfinden soll. An dieses Motto angelehnt fand am 13. Juli auch schon ein Konzert der Band “Lunikoff Verschwörung” (Michael Regener) in Berlin statt. In diesem Fall gäbe es allerdings sicherlich auch kleinere, dezentrale Gedenk-Aktionen anlässlich des Hess-Todestages seitens der NPD.

Das Heß-Gedenken verhindern!

Die bisherigen Erfahrungen mit dem Berliner Heß-Marsch könnten unterschiedlicher kaum sein: Während der Innensenat 2017 einen mit einem defensiven Bullenkonzept und einer wenig abgeschotteten Route politischen Willen zeigte, dass der Heß-Marsch zumindest nicht störungsfrei abläuft, gab es im letzten Jahr wenig Möglichkeiten den Aufmarsch zu stören und zu verhindern. Das hatte unterschiedliche Gründe: Zum einen das Verwirrspiel der Neonazis um den Aufmarschort, welches nur mit Hilfe der Berliner Polizei und der Versammlungsbehörde gelang, zum anderen das massive Bullenaufgebot, das etliche Sitz-Blockaden räumen lies, sodass diese letztlich quasi wirkungslos blieben.
Diese beiden Erfahrungen stehen beispielhaft für einen Fakt: Der Erfolg der Aktionsform Sitzblockade ist abhängig von den Launen des Berliner Senats oder des jeweiligen Bullen-Einsatzleiters. Ein selbstgewählter Ausdruck, unabhängig von den Berliner Polizei- und Versammlungsbehörden ist so kaum möglich. Es scheint wenigen aktiven Strukturen einzuleuchten, dass rechte Großevents in Berlin nicht ausschließlich mit Gegendemos und versuchten Menschenblockaden gestört werden können, von einer Verhinderung ganz zu schweigen. So ehrlich müssen wir mit uns und auch gegenüber den Menschen, die wir für Gegenaktionen auf die Straße mobilisieren möchten, sein. Und dennoch ist die Mobilisierung für Gegendemos und Menschenblockaden unerlässlich, wenn wir die Perspektive eines Zusammenspiels unterschiedlicher Aktionsformen weiter verfolgen möchten. Fangen wir an und richten den Fokus auf die Frage, wie wir den Nazis wieder offensiv begegnen können mit dem Ziel den Aufmarsch zu verhindern. Denn die Feinde der Freiheit und Emanzipation interessieren Mehrheitsverhältnisse nicht und sind bekanntermaßen eine potenziell tödliche Gefahr für Menschen, welche nicht in ihr Weltbild passen. Ein konsequenter Antifaschismus muss Antworten auf diese Realität finden.
Welches dieser Szenarien am 17. August Realität werden wird, ist momentan kaum abzusehen. Ein Grund mehr die Sache selbst in die Hand zu nehmen und sich auch fernab von Demo-Routen und Großevents wieder Handlungsspielräume zu verschaffen.

Den organisierten Neofaschismus zerschlagen! NS-Verherrlichung stoppen!
Egal wann, egal wo!

Erstveröffentlichung auf Bündnis "NS Verherrlichung stoppen" am 28. Juli 2019

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