Der 3. Oktober – Ein antifaschistisches Resümee

18. Oktober 2015 | News Redaktion

Das war er also, der Naziaufmarsch zum ‚Tag der deutschen Einheit‘. Wir möchten uns bei all den Menschen bedanken, die unserem Aufruf gefolgt sind, den Faschisten die Stirn zu bieten, insbesondere so viele junge Menschen. Dennoch sind wir unzufrieden mit dem Verlauf dieses Tages und werten diesen als klare Niederlage für den Berliner Antifaschismus. Wir möchten im folgenden Text auf begangene Fehler eingehen, an denen wir in Zukunft arbeiten sollten.

Wir haben, zugegebener Maßen sehr kurzfristig, zu dezentralen Gegenaktivitäten aufgerufen. Im Vorhinein waren teils hohe Erwartungen in den eigenen Reihen und denen der politischen Gegner geäußert worden und alle waren sich einig, dass sowohl der rechts-populistische Aufmarsch, als auch die Aktivitäten seiner Gegner_innen um einiges spannender werden könnten, als bei den wöchentlich stattfindenden Bärgida-“Abendspaziergängen“ (An dieser Stelle ein herzliches Dankeschön an die ‘Berliner Zeitung’ die mit ihrer theatralischen Vorab- Berichterstattung, die sich zwar nicht unbedingt durch aufwändige Recherchen auszeichnete, dafür aber wenigstens durch ihre Polarisierung ein wenig die Werbetrommel rührte). Leider gab es im Endeffekt keine großen Abweichungen zum „Standart-Montags-Programm“, abgesehen davon, dass sowohl die Nazis, als auch die antifaschistischen Gegenproteste mit cirka der doppelten Anzahl an Vertreter_innen vor Ort waren.

Die Nazidemo wurde von unterschiedlichsten Spektren und rechten Gruppen mobilisiert und letztendlich durchgeführt. So waren abgesehen vom Kern des bereits weitreichend bekannten Bärgida-Mobs AFD-, NPD- und ProDeutschland- Politiker_innen und Mitglieder, Hooligans aus dem ehemaligen ‚Bund deutscher Hools’- Umfeld und ‚Hogesa‘- Anhänger, Reichsbürger, Identitäre, Aktivist_innen aus dem Umfeld der sogenannten ‚Mahnwachen‘ und (weitere) Verschwörungstheoretiker_innen und (un)organisierte Nazischweine a la coleur vorhanden.

Wir sind es ja mittlerweile gewohnt, dass die Nazis, wenn sie in und um Berlin aufmarschieren, ihre angemeldeten Routen vollständig zurücklegen, ohne dass sie in einem Maße blockiert werden, dass sie umkehren beziehungsweise die Demos abbrechen müssen. Insofern war es nicht überraschend, dass sie es auch am vergangenen Samstag geschafft haben, die für den Aufmarsch angedachte Strecke, in diesem Fall vom Washingtonplatz bis zum Neptunbrunnen, ohne größere Komplikationen fertigzustellen. Zugegeben, die Bullen haben jeden effektiven Widerstand gegen den faschistischen Aufzug durch gut geplante taktische Maßnahmen und die Masse an Einsatzkräften im Keim erstickt, auch die Anzahl an Zivi-Bullen war erschreckend und (bis jetzt) vergleichsweise außergewöhnlich hoch. Und doch ist dies keine Entschuldigung für alles, die Fehler in den eigenen Reihen waren teils zu fatal, um die ganze Misere auf die Bullen abzuwelzen …

Dass der Lautsprecherwagen und der/die im Inneren agierende(n) Mensch(en) zum Beispiel durch einen strategisch katastrophalen Schachzug (wenn diese Aktion überhaupt auch nur im geringsten überlegt war, was wir nicht hoffen möchten …) die antifaschistisch gesinnten Leute vor dem Bahnhof von den gerade los-marschierenden Nazis absichtlich weg-mobilisierte und sie zu einer vollkommen sinnfreien Demonstration in klarer räumlicher Abgrenzung zur parallel stattfindenden Nazidemo aufforderte, ist das Eine. Dass die Leute dieser Aufforderung dann aber auch unhinterfragt Folge leisten und sich auf der Stelle wie die Schafe zu einer Demo formieren, um zur Freude der Bullen, für die die Lage ab diesem Zeitpunkt noch übersichtlicher war, und der Nazis, die nun noch reibungsloser marschieren konnten, als sowieso schon, hat uns umso mehr enttäuscht. Situationen wie diese haben uns gezeigt, dass die große Mehrheit der anwesenden Antifaschist_innen sowieso nicht mehr wollte, als nur symbolisch zu protestieren.

Aber jetzt mal ehrlich: Wie oft wollen wir uns das Geschwafel von Volk, Nation und „kultureller Zersetzung“ noch anhören, wie lange noch tatenlos dabei zusehen, wie der rassistische Mob seine Hetze verbreitet, wie oft noch hinnehmen, dass die Nazis „Deutschland, Deutschland über alles …“ singend durch die Straßen unserer Stadt ziehen und, von den staatlichen Schergen geschützt, gegen alles Fremde und ‚Nicht- Deutsche‘ pöbeln, ja, auf dem Heimweg im besoffenen Größenwahn sogar Übergriffe vollziehen? Und wie lange wollen wir diesen unverschämten Provokationen noch nachgeben und lediglich symbolische Protestkundgebungen entgegensetzten, an denen noch nicht einmal viele Menschen teilnehmen? Am 3. Oktober ist genau dies nämlich zum hundertsten mal passiert …

Die Nazidemo zum ‚Tag der deutschen Einheit‘ war bereits seit Mitte Juli angemeldet. Wir, die wir leider erst viel zu spät von diesem Event der Faschisten Wind bekommen haben, waren als eine von wenigen Gruppen, die zu Gegenaktivitäten mobilisiert hat, damit bedeutend zu spät dran. Wäre früher zu Protesten aufgerufen worden, hätten diese vielleicht auch besser organisiert werden können, keine Frage …

Wir werden in kommender Zeit viele Anlässe haben, an denen wir aus unseren Fehlern lernen und neue Strategien entwickeln können, so viel ist sicher.

Erstveröffentlichung auf Antifaschistische Koordination 36 am 18. Oktober 2015

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